Emotionales Essen: Ursachen, Folgen & Strategien zur Bewältigung
Jeder kennt das Phänomen: Wir essen in manchen Situationen, obwohl wir keinen Hunger haben. Denn Essen dient nicht nur der bloßen Nahrungsaufnahme. Beim emotionalen Essverhalten sollen die Lebensmittel primär Gefühle regulieren und nicht das natürliche Hungergefühl stillen. Häufig wird emotionales Essen dabei mit einer „erhöhten Nahrungsaufnahme, um negative Emotionen zu bewältigen“ gleichgesetzt. Unsere Gefühle können unser Essverhalten aber auf unterschiedlichste Art und Weise steuern.
Stimmung bestimmt den Appetit
Früher ging die Wissenschaft davon aus, dass alle negativen Emotionen das Essverhalten aller Menschen auf die gleiche Weise beeinflusst. Das ist aber nicht immer der Fall, wie Auswertungen von Fragebögen ergaben. Bei der Mehrzahl der Befragten führte vor allem Traurigkeit und Stress dazu, mehr zu essen. Angst und Ärger hemmten eher den Appetit. Ähnliche Ergebnisse lieferten Untersuchungen, bei denen auch die Gehirnaktivität gemessen wurde. Bei Menschen mit einer Essstörung (z. B. mit Bulimie oder einer Binge-Eating-Störung) sei das übermäßige Essen vor allem bei negativen Emotionen, insbesondere bei Traurigkeit, verstärkt zu beobachten. Auch bei übergewichtigen Personen wird dieses Muster teilweise beobachtet, jedoch spielen hier oft weitere Faktoren wie genetische, hormonelle oder gesellschaftliche Einflüsse eine Rolle.
Wer jedoch glaubt, emotionales Essen würde nur mit Stress und schlechten Gefühlen in Verbindung stehen, täuscht sich. Es gibt viele weitere Motive zu essen, ohne physischen Hunger zu fühlen. Etwa aus Langeweile, in Gesellschaft, weil es etwas zu feiern gibt, um sich zu belohnen, sich gut und geborgen zu fühlen oder einfach aus Gewohnheit (z. B. abends vor dem Fernsehapparat).
Wissenswert
Ob jemand zu emotionalem Essverhalten neigt, kann in Selbstberichtsfragebögen erhoben werden. Dazu entwickelte ein Forschungsteam vom Eating Behavior Laboratory des Fachbereichs Psychologie in Salzburg, zwei Fragebögen: Die „Salzburg Stress Eating Scale“ (SSES) und „Salzburg Emotional Eating Scale“ (SEES). Die SSES erfasst, ob in verschiedenen Stresssituationen weniger, gleich viel oder mehr gegessen wird als gewöhnlich. Die SEES hingegen beinhaltet die gleichen Antwortkategorien und erfragt das Essverhalten bei Traurigkeit, Fröhlichkeit, Ärger und Ängstlichkeit. Beim Eating Behavior Laboratory gibt es die Tests zum Download.
Essen ist von Geburt an emotional
Unser Essverhalten wird durch viele Lernerfahrungen geprägt, die wir im Laufe des Lebens sammeln. Emotionales Essen beginnt oft schon im Säuglingsalter, etwa beim Stillen oder wenn Eltern ihre Kinder mit Süßigkeiten belohnen. Solche Erfahrungen können klassische Konditionierungsprozesse auslösen: Wird negative Stimmung durch Essen reduziert, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Essen künftig zur Emotionsregulation genutzt wird. Infolgedessen können weitere klassische Konditionierungsprozesse eintreten: Durch das erlernte Verhalten lösen bestimmte Situationen oder Gefühlszustände automatisch einen Drang zu essen aus. Dabei kann emotionales Essen in beide Richtungen wirken: Manche Menschen essen mehr oder weniger, um negative Emotionen zu regulieren. Andere nutzen Essen, um bewusst positive Gefühle wie Freude oder Geborgenheit zu erzeugen.
Heißhunger auf Kalorien
Bei emotionalem Essen greifen viele Menschen oft zu hochkalorischen Lebensmitteln mit reichlich Zucker und Fett. Dies wurde bei Studienprobanden in einem Stress-Test gezeigt. Im Vergleich zur Kontrollgruppe war bei emotional Essenden die Menüzusammenstellung nach einer simulierten Prüfungssituation eindeutig süßer und fetter und hatte daher auch eine höhere Energiedichte.
Auf welche Lebensmittel in Stresssituationen zurückgegriffen wird, ist dabei jedoch sehr unterschiedlich. Während es hierzulande häufig Schokolade, Mehlspeisen oder salzige Snacks sind, greifen japanische Frauen beispielsweise eher zu Reis und Sushi. Auch emotionales Essen scheint damit kulturell geprägt zu sein.
Frustessen: Auf Dauer problematisch
Wird aus einem „Ich gönne mir etwas“ ein „Ich muss das jetzt haben“, wird der Genuss zum Zwang. Emotional Essende haben dann in fordernden Situationen ihr Essverhalten nicht mehr bewusst in der Hand. Das kann sich längerfristig auch in starker Gewichtszunahme äußern. Häufig kann dies der Grund dafür sein, warum machen Menschen das Abnehmen schwerfällt. Denn Diätkonzepte fokussieren in den meisten Fällen darauf, was gegessen wird und nicht, warum gegessen wird. Gerade strenge Diäten, die von Regeln und Verboten geprägt sind, führen zu Frust, da sie schwer umsetzbar und daher häufig erfolglos sind. Genau dieser Frust wiederum kann dazu führen, dass emotionaler Hunger entsteht, bei dem es sich im Prinzip auch um eine Form von Heißhunger handelt. Das Ergebnis ist, dass am Ende die verlorenen Kilos wieder drauf sind oder man sogar noch mehr wiegt als zuvor.
f.eh live im Talk 20:
Essen und Emotionen – wie hängt das zusammen?
Warum gibt es emotionales Essen? Was passiert dabei im Körper? Und ab wann ist ein solches Verhalten ungesund? Wir haben 2022 mit Prof. Dr. Christoph Klotter (Hochschule Fulda) und Gabriele Haselberger (Therapie, Beratung & Skillstraining Haselberger) darüber gesprochen.
Was tun gegen unkontrolliertes Essen
Emotionaler Hunger spielt sich im Kopf ab und hat nur wenig mit körperlichen Bedürfnissen zu tun. Wer merkt, bei psychischer Belastung immer wieder und in großen Mengen zu zucker- und fetthaltigen Lebensmitteln zu greifen, dem kann verstärkte Achtsamkeit beim Essen helfen. Trainingstechniken wie die Dialektisch-Behaviorale Therapie, die Akzeptanz- und Commitment-Therapie oder die Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion eignen sich, um emotionale Zustände bewusst zu reflektieren und besser damit umzugehen. Mit der Zeit können dadurch neue Verhaltensweisen entstehen, die langfristig den Kreislauf des Frustessens durchbrechen.
Emotionales Essen vermeiden:
- Ursache erkennen (z. B. erhöhtes Stresslevel auf der Arbeit, Beziehungskonflikte, Diätfrust)
- Gefühle annehmen (Einsicht hilft, die negativen Gefühle in positive Bahnen zu lenken)
- Alternativen zum Essen finden (bewusste Ablenkung z. B. durch Sport, Hobbies oder gemeinsame Aktivitäten mit Freunden)
- Entspannungsübungen bei Stress (z. B. Meditation, Autogenes Training oder Tai-Chi)
- Achtsames essen (sich Zeit nehmen, langsam und genussvoll essen, Gewohnheitsrituale reflektieren z. B. essen beim Fernsehen vermeiden)
- Bewusst Snacken (sich Süßes nicht verbieten und in kleinen Mengen bewusst genießen oder auch Gemüse und Obst wie Karottenstifte und Apfelspalten mit Nüssen schnabulieren)
Fazit
Emotionaler Hunger ist Hunger über das körperliche Bedürfnis hinaus und betrifft vielmehr unsere Gefühlswelt. Es geht eigentlich nicht darum, etwas zu essen, sondern vielmehr, ein Gefühl zu befriedigen. Es gilt den Ursprung des Bedürfnisses zu erkennen. Achtsamkeitstraining kann dabei helfen, emotionales Essen vorzubeugen.
Literaturverzeichnis
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