Mariendistel: Wundermittel für die Leber oder Mythos?
Die Leber ist das zentrale Stoffwechselorgan des Körpers. Sie bereitet Nahrungsbausteine auf, macht sie für den Körper verwertbar, reguliert den Fett- und Zuckerstoffwechsel und sorgt dafür, dass die Verdauung gut funktioniert. Sie ist außerdem maßgeblich daran beteiligt, mit der Nahrung zugeführte oder im Organismus entstehende Toxine zu entgiften. [Kasper et al., 2020]. Ein Organ mit dieser Funktionsvielfalt will auch gepflegt werden. Dass Alkohol und Kalorienzufuhr im Übermaß langfristig die Leber schädigen können, ist kein Geheimnis [Deutsche Leberstiftung, 2022; DGE, 2024]. Immer wieder werden Wundermittel propagiert, die die Leber schützen sollen. Darunter findet sich auch die Mariendistel. Präparate dieser Pflanze gibt es wie Sand am Meer: Kapseln, Tees, Kräuter-Extrakte oder Pflaster. Die Mariendistel war bereits in der Antike bekannt und gilt seit Mitte des 18. Jahrhunderts als Heilpflanze. Ihr wird eine leberreinigende und entgiftende Wirkung nachgesagt, sie soll die Zellmembranen stabilisieren, wodurch Zellgifte vermeintlich nicht eindringen können.
Wissenswert
Der Wirkstoff in der Mariendistel heißt Silymarin. Er wird aus den Früchten der Distel gewonnen und kann weiter in drei primäre Flavonoide unterteilt werden: Silybin, Silydianin und Silychristin. Das Stoffgemisch wird v.a. bei entzündlichen Erkrankungen der Leber eingesetzt [MSD Manuals, 2023].
Wirkung nicht eindeutig bestätigt
Aufgrund der vermeintlich positiven Eigenschaften wurden Mariendistelpräparate lange Zeit gerne bei Leberschäden eingesetzt. Die erhoffte Wirkung war, dass sich das Organ dadurch schneller regeneriert und Leberschädigungen verlangsamt werden.
Ob die Pflanze tatsächlich hilft, ist wissenschaftlich nicht gesichert. In Tierversuchen scheint der Wirkstoff zwar vor Leberschäden zu schützen, doch was bei Tieren wirkt, ist nicht zwangsläufig auf den Menschen übertragbar. Lediglich bei In-vitro Versuchen an menschlichen Leberzellen wurde bestätigt, dass der Wirkstoff Silymarin Einfluss auf die Entgiftungssysteme der Zellen hat [Gillessen et al., 2020]. Eine Meta-Analyse aus dem Jahr 2021, die acht randomisierte kontrollierte Studien zusammenfasste, ergab, dass der Inhaltsstoff Sylimarin die Serumspiegel der Transaminasen von Personen mit einer nicht-alkoholischen Fettleber senkte [Kalopitas et al., 2021]. Dabei handelt es sich um eine chronische Lebererkrankung, bei der sich übermäßig Fett in den Leberzellen einlagert – bedingt insbesondere durch einen ungesunden Lebensstil, auch ohne übermäßigen Alkoholkonsum. Diese Transaminasen sind Marker für Erkrankungen im Bereich der Leber, es besteht jedoch nur eine geringe klinische Relevanz [BMSGPK, 2022]. Darüber hinaus waren die inkludierten Studien von mangelnder Qualität. Das heißt, dass zwar eine Wirkung im menschlichen Körper besteht, jedoch laut aktueller Forschungslage keine gesicherte Evidenz für den Einsatz bei bestimmten Erkrankungen vorliegt [Kalopitas et al., 2021].
Trotz dieser Unsicherheit erfreut sich die Mariendistel großer Beliebtheit, besonders im Rahmen von medikamentösen Therapien wie Chemotherapien. Es wird etwa diskutiert, ob dadurch Leberenzyme mit Entgiftungsfunktion stimuliert oder die Wirkung der Chemotherapien verbessert werden könnten. Allerdings ist unklar, ob die wahrgenommenen Verbesserungen tatsächlich auf die Mariendistelpräparate oder möglicherweise auf einen Placebo-Effekt zurückzuführen sind. Das National Cancer Institute weist darauf hin, dass zwar vereinzelte Studien potenzielle Vorteile aufzeigen, die Gesamtevidenz jedoch weiterhin sehr begrenzt ist. Empfohlen wird die Einnahme der Präparate nicht, da potenzielle Wechselwirkungen mit Arzneimitteln während der Chemotherapie noch nicht untersucht sind und generell zu wenig Daten für die Wirkung auf den Menschen vorliegen [National Cancer Institute, 2022].
Mariendistel bei Hepatitis und Leberzirrhose
In einer Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2020 wurden Studien, die mit Personen mit Alkoholkrankheit oder Hepatitis-Infektion gemacht wurden, zusammengefasst und analysiert. Der Wirkstoff Sylimarin verringerte bei frühzeitigem Einsatz bei Menschen mit Leberzirrhose leberbedingte Todesfälle signifikant. Der Nutzen hängt zudem mit dem Zeitpunkt des Einsatzes zusammen: Je früher mit der Einnahme begonnen wurde, desto besser waren die Erfolge, da das Regenerationspotenzial der Leberzellen noch hoch war [Gillessen et al., 2020]. Das Studiendesign war jedoch nicht systematisch und es erfordert weitere Forschung in Form von randomisiert-kontrollierten Studien und systematischen Reviews, um diese Ergebnisse zu bestätigen.
Wissenswert
Im Vergleich zu anderen Organen regeneriert sich die Leber relativ gut, denn beschädigte Zellen werden bei rechtzeitigem Handeln wieder neu gebildet. Für gesunde, nicht schwangere oder stillende Erwachsene wird ein Alkoholkonsum von 1 bis 2 alkoholischen Getränken pro Woche (< 27 g Alkohol/Woche) als risikoarm angesehen [DGE, 2024].
Schutz bei Pilzvergiftungen
Bei Vergiftungen durch den Knollenblätterpilz scheint die Mariendistel hingegen zu helfen. Das Gift des Pilzes, das Amatoxin,schädigt die Leber und führt im Ernstfall zu komplettem Leberversagen. Das in der Mariendistel enthaltene Silibinin kann das Risiko senken, an einer Amatoxin-Vergiftung zu sterben. Es blockiert einen Transporter, wodurch das Pilzgift nicht in die Zellen aufgenommen wird [Gillessen et al., 2020]. In einer retrospektiven Studie hat man außerdem Penicillin mit Silibinin verglichen. Das Risiko für das Auftreten von Todesfällen oder Lebertransplantationen war in der Silibiningruppe geringer. Es hat einen ähnlichen Wirkmechanismus, aber geringere Nebenwirkungen [Ganzert et al., 2008]. Die Hauptursache für Lebererkrankungen bilden letztendlich jedoch keine Pilzvergiftungen, sondern neben Hepatitis-Infektionen und Alkohol vor allem der Lebensstil.
Fazit
Mariendistelextrakte werden oft zur Behandlung von Leberschäden eingesetzt, wenngleich nicht ausreichend gesichert ist, ob sie tatsächlich wirken. Inhaltsstoffe der Mariendistel weisen jedenfalls antioxidative Wirkung auf. Wie weit diese für das klinische Setting relevant sind, ist bis dato in Humanstudien noch unzureichend erforscht. Schlägt man bei einem Fest oder gemütlichen Beisammensein über die Stränge und hat Bedenken um die eigene Lebergesundheit, dann helfen ausreichend Bewegung und alkoholfreie Tage mehr als vermeintliche Wunder-Extrakte.
Welche Fähigkeiten unsere Leber besitzt und wie man sie am besten schützen kann, lesen Sie zudem in der ernährung heute 2/2017.
Literaturverzeichnis
Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK): GPT (ALT, ALAT). (Stand: 05.12.2022) https://www.gesundheit.gv.at/labor/laborwerte/organe-stoffwechsel/leber-02-alat2-hk.html (Zugriff: 21.11.2024).
Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE): Alkohol – Zufuhr in Deutschland, gesundheitliche sowie soziale Folgen und Ableitung von Handlungsempfehlungen (Stand: 2024). https://www.dge.de/wissenschaft/stellungnahmen-und-fachinformationen/positionen/alkohol/#:~:text=Die%20DGE%20empfiehlt%20daher%2C%20auf,sollen%20auf%20Alkohol%20generell%20verzichten (Zugriff: 21.11.2024).
Deutsche Leberstiftung: Leber und Fett – Informationen für Betroffene und Angehörige (Stand: 2022). https://www.deutsche-leberstiftung.de/downloads/broschuren/dls_kurz-broschu-re_leber_und_fett_web (Zugriff: 21.11.2024).
Ganzert M et al.: Knollenblätterpilzvergiftung — Silibinin und Kombination von Silibinin und Penicillin im Vergleich. Dtsch med Wochenschr 133: 2261-2267 (2008).
Gillessen A, Schmidt HHJ.: Silymarin as Supportive Treatment in Liver Diseases: A Narrative Review (2020).
Kalopitas G et al.: Impact of Silymarin in individuals with nonalcoholic fatty liver disease: A systematic review and meta-analysis. Nutrition. 83 (2021).
Kasper H, Burghardt W: Ernährungsmedizin und Diätetik, Urban & Fischer, München (2020).
MSD Manuals: Mariendistel (Sylimarin) (Stand: Jänner 2023). https://www.msdmanuals.com/de/profi/spezielle-fachgebiete/nahrungserg%C3%A4nzungsmittel/mariendistel (Zugriff: 21.11.2024).
National Cancer Institute: Milk Thistle (PDQ®)– Health Professional Version (Stand: 17.02.2022). https://www.cancer.gov/about-cancer/treatment/cam/hp/milk-thistle-pdq (Zugriff: 21.11.2024).